|
|
Über algorithmische Arbeiten, 2/2 (im Allgemeinen), Version 2021
Die vorliegenden Arbeiten könnte man mathematische Kunst nennen, oder algorithmische, oder generative, mit steigender Präzision.
Denn obwohl sie auf mathematischen Algorithmen basieren sind sie nicht mathematisch in dem naheliegenden Sinn, dass im Code Formen beschrieben werden, Längen, Richtungen, oder Krümmungen.
Der Code gibt nur Regeln vor, nach denen Formen generiert werden, basierend auf Anziehung und Abstoßung, in Relation zu Abständen und Richtungen.
Der Code kann daher extrem kurz sein, wie ein fraktaler Code (der er aber nicht ist).
Im Code wird ein Feld beschrieben, ein Feld in einem gewissen Zustand.
Das Feld kann auch andere Zustände annehmen.
Genau genommen ist es multidimensional: (beispielsweise) 20 Parameter ergeben ein räumliches Gebilde in 20 Dimensionen.
So etwas kann mit dem menschlichen Gehirn nicht erfasst werden. Ein zielgerichtetes Programmieren alleine bringt einen darum nicht weiter, bei der Suche nach solchen Bildern und Bewegungen. Dazu benötigt es Intuition und viel Zeit zum Experimentieren, Suchen, Ausloten.
Der Code hinter diesen Arbeiten hat nichts Zufälliges. Er wurde jeweils von Grund auf neu geschrieben und über, teils viele, Jahre immer wieder weiterentwickelt.
Wie kommt man darauf, solchen Code zu schreiben? (1/3)
Offenbar alleine schon aus Entdeckergeist.
Schließlich betritt man ein algorithmisches Paralleluniversum und kartografiert es. Das macht Sinn, denn dort war zuvor noch nie ein Mensch. Und in manchen Bereichen ist es dort so detailreich und interessant, dass man es kaum erwarten kann hinein zu zoomen und hochaufgelöste Bilder herauszuholen.
Der Code ist zwar einfach, behandelt aber eine große Anzahl von Objekten über eine große Zahl von Iterationen. Ihn zu rendern, also das Bild, das er kodiert, sichtbar zu machen, dauert daher Stunden, zuweilen Tage. Danach wird das Ergebnis beurteilt und numerische Werte mancher Parameter geändert. Und wieder wird probeweise gerendert und beurteilt, was wert ist, weiterverfolgt zu werden, und was nicht. Ein evolutionärer Prozess...
Als Weiterentwicklung wird dabei steigende Komplexität gewertet, aber auch Schlüssigkeit. Wenn sich Unregelmäßigkeiten zeigen, und unerwartete Artefakte, ist das ein Anreiz weiterzusuchen, aber letztlich befriedigend wird es erst, wenn ein so gefundenes Bild die komplexen Beziehungen in ihm auszudrücken vermag, wie ein komponiertes Gemälde, oder eine durchdachte Kameraeinstellung.
Denn auch mit Code kann man gestalten. Er ist bloß ein eher sperriges Instrument dafür.
Belohnt wird man bei der Arbeit, neben Unerwartetem und Ästhetischem, auch mit Formen und Bewegungen, die Rätsel aufgeben, weil sie Rückschlüsse auf die reale Welt zulassen:
Wenn eine Bewegung aussieht wie eine Folie, die Blasen wirft, aber dann doch eher wie eine wellige Schicht eines Schleimpilzes, und dann doch eher wie fließende Wellen, oder Schlieren in Wasser, dann steigt die Neugier bei dem, der gewohnt ist, seine Umwelt zu analysieren, und die Begeisterung bei dem, der nicht vergessen hat, dass all diese "wohltemperierte" Unklarheit aus ein paar Zeilen starren Codes kommt, in dem das "Außergewöhnlichste" die Winkelfunktionen Sinus, Kosinus und Tangens darstellen.
Wie ist das möglich?
Wie kann solche Vielfalt aus so wenig Information kommen? Nicht einmal fraktale Codes geben so etwas leicht her.
Wie können geometrische Formen Beziehungen ausdrücken, Spannungen, und dadurch Emotionen auslösen?
Wie kann etwas offenbar Organisches, natürlich Gewachsenes und lebendig Anmutendes in einer so kurzen und "trockenen" Handlungsanweisung verborgen sein?
Wie kann es radikale Veränderungen im "Verhalten" geben, wenn sich bloß ein Parameter linear ändert?
Kann es sein, dass solche Prinzipien allgemeingültiger sind, als man sich gemeinhin bewusst ist?
Bereits einfache Handlungsanweisungen aus drei Gleichungen lassen regelmäßig etwas Unerwartetes entstehen. Wenn die numerischen Fenster richtig gewählt sind, wuchert hier etwas, interferiert dort etwas, bilden sich Verwerfungen in der Uniformität. "Etwas" entsteht, wo zuvor bloß "Nichts" war.
Das kann schon begeistern...
Und zu denken geben...
Weil die Parallelen zur realen Welt unübersehbar sind...
Die interessantesten Codes sind die, die eine solch instabile mathematische Landschaft beschreiben, dass winzige Änderungen der Zahlenwerte ihrer Parameter dramatische Auswirkungen haben. Aus solchen Codes (wie dem 456. ("k456")) ergibt sich dann eine große Anzahl verschiedener Bilder und Bewegungen.
Und es sind tatsächlich Landschaften...
Topografien...
Wie, wenn man eine weiße Platte, unter der sich Magnete befinden, mit schwarzen Eisenstaub bestreut, entsteht das Bild aus dem Code durch Schwärzung an den Stellen, an denen sich die Partikel niederlassen. Wo sie weggedrängt werden, bleibt das Bild weiß.
Die schwarzen Pixel machen das Feld sichtbar.
Ein Feld, das man sich auch als Gebirge vorstellen kann, auf das Partikel regnen, um von Berghängen abzuprallen und sich in Tälern zu sammeln.
Wie kommt man darauf, solchen Code zu schreiben? (2/3)
So seltsam das anmuten mag, handelt es sich doch um digitale, virtuelle Schöpfungen: aus Liebe zur Natur.
Denn es sind Naturbeobachtungen, die den Anlass dazu geben, einen neuen Code zu schreiben.
Fragen, wie: Ist ein Vogelschwarm gesteuert, von Individuen, die für die Anderen die Richtung vorgeben, oder gibt es in ihm keine Hierarchie sondern nur gleichwertige Individuen, die ihre Individualität vorübergehend außer Kraft gesetzt haben und sich einem Feld hingeben, sich von ihm lenken lassen?
Fallen Stare, die in der Dämmerung atemberaubende, koordinierte Bewegungen vollführen, auf ein einheitliches Programm zurück, das in ihren jeweiligen Köpfen ist?
Es lohnt sich, diese und ähnliche Situationen mathematisch zu simulieren, denn dann erkennt man es.
Und ist solch ein Code mal geschrieben, kann man daran gehen, Bedingungen und Vernetzungen einzuführen, die in der Natur nicht vorkommen. Man kann die unscharfe Grenze zwischen dem, was in dieser Realität bereits als möglich erkannt wurde, und dem, was noch nicht beobachtet wurde aber nichts desto trotz mit der gleichen Berechtigung beschrieben werden kann, passieren. Man tut es in der Regel, ohne es zu bemerken.
Dann betritt man Neuland, als erster Mensch der gesamten Menschheit.
Kann es sein, dass sich aus dem, was man dort sieht, ein Nutzen für die physische 4D-Realität ergibt?
Ohne weiteres.
Jederzeit könnte ein Plasmaforscher oder Kosmologe oder Biologe oder Neurologe solch ein algorithmisches, nicht-gegenständliches Bild betrachten und sagen: "Das sieht doch aus wie etwas, das ich in der Natur beobachtet habe. Nun verstehe ich die ihm zugrunde liegenden Mechanismen.".
Dass so etwas geschehen kann ist so naheliegend, dass man dafür plädieren könnte es zu einer wissenschaftlichen Disziplin zu erheben, mit Naturgesetzen am Computer zu experimentieren, um zu erkunden, was theoretisch möglich wäre.
Denn vielleicht erkennt man dann ja zuweilen, dass etwas auf diese Weise Gefundenes nicht nur theoretisch möglich ist, sondern ganz real existiert.
Bei der jahrelangen Arbeit mit diesen Algorithmen reifte die Einsicht, dass die damit beschriebenen Feldzustände durchaus mit mentalen Feldzuständen korrespondieren können und dass sich diese Zustände über Bilder und Bewegungen vermitteln lassen.
Vielleicht ist es sogar so, dass sie nur Betrachtern gefallen, die so denken können, wie solch ein Bild nahelegt.
Was sie sagen, ist, dass sie sich in einen meditativen, kontemplativen Zustand versetzt fühlen, wie beim Betrachten eines wogenden Kornfeldes oder einer bewegten Wasseroberfläche.
Viel bedacht wird daher darauf gelegt, die einem Bild zugrunde liegenden Regeln (intuitiv) erfassbar zu erhalten. Sie sollten "durchscheinen" und das Bild so zu mehr machen als bloß etwas Schönem. Man sollte das Bild "verstehen" können. Nicht verstehen in dem Sinn, dass man etwas Reales in ihm erkennen kann, denn das zu versuchen ist bei einem nicht-gegenständlichen Bild relativ wertlos, sondern in dem Sinn, wie sich das Bild "anfühlt".
Welche Schwingungsmuster es enthält und abgibt...
Wie arbeitet man mit solchem Code? (1/2)
In einem meditativen Zustand. Wach und konzentriert, aber entspannt. Man widmet der Sache Lebenszeit.
Da es sich um viel-dimensionale Räume handelt, die man betritt, hat es keinen Sinn zu versuchen, die Auswirkungen aller beteiligten Parameter (also alle Dimensionen) rational erfassen zu wollen.
Nicht, wenn man bei Verstand bleiben will...
Stattdessen beginnt man den Code zunehmend als Funktionen zu sehen, als Kräfte, als Aspekte eines Feldes.
Man denkt dann bildhaft.
Man geht dann eher durch eine Landschaft als dass man Zahlen und Buchstaben im Kopf herumbewegt.
Information passiert gewundene Kanäle durch die Funktionen des Algorithmus...
Dieser (non-verbale und für alle Möglichkeiten offene) Zustand überträgt sich auf den (geneigten) Betrachter.
Das, und ein Verständnis für multi-kausale Zusammenhänge und ausbalancierte Beziehungen...
Die Bewegungen der Videos sind langsam und durchgehend, zuweilen über Minuten...
Ohne Sprache, ohne Erklärung in Worten, die den intuitiven Zugang behindern könnten...
Das ist so weit von Fernsehen weg, wie es nur geht.
Nicht einmal Naturfilme können auf verbale Erklärungen und rasch wechselnde Bildabfolgen verzichten.
Wie arbeitet man mit solchem Code? (2/2)
Er ist nicht-linear, in dem Sinn, dass der Endzustand einer Iteration zum Ausgangszustand der nächsten wird.
Das ist, wie in der Natur Dinge geschehen: immer aufbauend auf den jeweils vorherigen Zustand.
Man kann einen entfernten Zustand eines (diskreten) nicht-linearen ("chaotischen") Systems nicht vorwegnehmen. Man muss sich schon hineinbegeben. Will man sehen, was nach 1000 Iterationen geschieht, muss man diese 1000 abarbeiten.
Im Gegensatz zur Natur ist die Auflösung des Raums dabei begrenzt. Ein bestehender Code liefert daher jedes Mal, wenn damit ein Bild gerendert wird, das exakt gleiche Ergebnis.
In der Regel sind es 10 bis 20 Iterationen, die berechnet werden, bevor das Ganze zurückgesetzt wird. Mehr zu berechnen lohnt sich meistens nicht, weil dann bereits alle Objekte an stabilen Positionen geparkt ruhen und nicht mehr zum Bild beitragen.
Sie werden daher regelmäßig erneut von zufälligen Positionen aus losgelassen.
Oder fallen gelassen...
Um eine Welt sichtbar zu machen...
Wie kommt man darauf, solchen Code zu schreiben? (3/3)
1997: Walter Gorgosilits hatte bereits drei Jahre lang Dextro.org betrieben, auf dem er seine (nicht-gegenständlichen und nicht-kommerziellen) grafischen Arbeiten zeigte, als er nagende Unzufriedenheit verspürte.
Er wollte keine fertigen Bilder mehr präsentieren, sondern den Betrachter einladen, an ihrer Gestaltung teilzuhaben, zum Interakteur zu werden.
Dezentrale Erzeugung von Kunst, die die Kluft zwischen Erschaffer und Rezipient überbrückt. Eine naheliegende Haltung zur Zeit der beginnenden Technobewegung, die vielen Musikern/DJs ermöglichte, schnell und unabhängig von Studios und Produzenten Tracks zu erstellen und gleich mit dem Publikum zu teilen. "Nicht-gegenständliche" Tracks, also ohne Gesang, ohne Strophen und Refrain, aber auch ohne Melodien und Rhythmen, die die Meisten noch als Melodien und Rhythmen betrachten würden...
Er beschloss jedenfalls zu dieser Zeit, mit Macromedia Directors Programmierfunktion (in der Sprache "Lingo") einfache Applikationen zu schreiben, die Objekte bewegten, und lud seine damalige Lebensgefährtin ein, mitzumachen.
Das Projekt Turux.org (1997-2001) wurde zum ersten interaktiven Netzkunstprojekt Österreichs, gewann den ersten Preis des Josef Binder Awards von Design Austria und wurde zweimal im Museumsquartier gezeigt.
Die simplen, geometrischen Animationen auf Turux.org waren auch ein Mittel, die Grenzen der eigenen Kreativität zu erweitern.
Später, nach 2001 und wieder im Rahmen von Dextro.org, wurden die Algorithmen immer komplexer und liefen bald nicht mehr in Echtzeit. Die Interaktion des Rezipienten näherte sich also immer mehr dem Experimentieren des Erschaffers an: "Ändere ein paar Parameter und schau', wie sich das auswirkt. Warte ein paar Sekunden, nein, ein paar Minuten, nein, doch eher ein paar Stunden..."
Die Zeit, die es braucht, ist die Zeit zum Meditieren und zum Visualisieren der Kräfte, die zusammenwirken um eine Bewegung oder eine Form zu erzeugen. Die Suche nach Verwerfungen in der Uniformität schulte alle, besonders ihn, in Mustererkennung. (Was ja noch bedeutsam werden sollte...)
Durch die Verwendung von "Processing" (Java) und schnellerer Rechner wurde es dann möglich, hochaufgelöste Bilder in (bis zu Format A0) großen Fineart-Prints zu drucken, und Videos in voller HD-Auflösung (und manche sogar in 4K) zu rendern.
dextro.org/prints
vimeo.com/dextroorg
|
|